24. Juni 2019
Zur Debatte um Clean Meat und alternative Proteine
Fleisch ist kein Fleisch, bis jemand sagt, dass es Fleisch ist
Von Sarah Liebigt
Das „Bedürfnis“ nach Fleisch haben wir uns selbst eingebrockt. Fleisch, bzw. der alltägliche, günstige Konsum von Schinken, Würstchen, Braten & Co, ist noch vor dem Auto ein Statussymbol geworden. Ein Symbol für Wohlstand. Nach den zwei Weltkriegen wollten wir nicht mehr darben. Bockwurst und Butter an jedem Tag und bitte billig.
Um diesen vermeintlichen Bedarf und dessen Selbstverständlichkeit gewordene Erfüllung zu überwinden (und nebenbei die Klimakrise abzuwenden), braucht es neues Vokabular. Abgesehen von notwendiger Forschung und Entwicklung in den großen Bereichen der Landwirtschaft muss es ein Umdenken in der Gesellschaft geben.
Fast alle Alternativen für tierische Proteine sind eher Ersatz als etwas völlig Neues. Gemüseburger, Tofusteaks, Soja-Kebab, Veggie-Wan Tans, Garden-Nuggets: Sie alle spielen mit Begriffen, die unser Gehirn mit glücklichen Kühen auf Wiesen oder Hühnern oder Schweinen verbindet. Dass wir die Realität, die Industrie hinter unserem Schinken, hinter Fleischbällchen und Bratwurst gekonnt verdrängen, ist eine ganz andere Geschichte.
„Ein Problem, das im Zusammenhang mit der Erzeugung von Produkten aus Zellkulturen auftritt, ist deren Bezeichnung“, sagt Dr. Hans-Wilhelm Windhorst, Professor (im Ruhestand) für angewandte WIrtschaftsgeographie und Strukturforschung. Auch der Bauernverband, der Fleischer-Verband und der Verband der Fleischwirtschaft haben unlängst Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) dazu aufgefordert, sich EU-weit für einen Bezeichnungsschutz für Fleischprodukte einzusetzen. Der Verordnungsvorschlag betrifft insbesondere Steaks, Schnitzel und Burger.
„In der öffentlichen Diskussion und z. T. auch in Medienberichten wird nicht klar genug unterschieden zwischen Produkten, die durch Zellkulturen erzeugt werden und Ersatzprodukten, die pflanzliche Proteine als Ausgangsbasis haben. Bei diesen Ersatzprodukten wird sowohl im Erscheinungsbild als auch im Geschmack eine große Übereinstimmung mit dem Produkt angestrebt, das sie substituieren sollen. Sie enthalten keinerlei tierische, sondern ausschließlich pflanzliche Substanzen und werden bereits im Markt angeboten.“
Durch die Möglichkeit, durch Zellkulturen „Fleisch“ zu erzeugen, stellte sich die Frage, ob diese neuen Produkte auch als „Fleisch“ bezeichnet werden können, obwohl sie nicht von lebenden Tieren stammen. Die Cattlemen’s Association der USA hat das Landwirtschaftsministerium (USDA) gebeten, eine Neudefinition in folgender Weise vorzunehmen: Fleisch ist ein Lebensmittel, das durch Aufzucht und Schlachtung von lebenden Tieren in konventioneller Weise erzeugt wird. Auch die National Cattlemen’s Beef Association vertritt die Auffassung, dass das aus Zellkulturen hervorgehende Produkt nicht als Fleisch bezeichnet werden darf. In der EU bezeichnet der Begriff „Fleisch“ alle genießbaren Teile (einschließlich Blut) von Huftieren (Haustiere der Gattungen Rind, Schwein, Schaf und Ziege sowie als Haustiere gehaltene Einhufer), Geflügel, Hasentieren und frei lebendem Wild.
Die Vielfalt der Alternativen zu konventionell erzeugten Fleischprodukten ist riesig. Mehlwürmer, Grillen und anderes Krabbelvieh beispielsweise waren allerdings bisher in den Berichten der LebensmittelinspekteureInnen zu finden und nicht auf der Speisekarte. „Ein (..) entscheidendes Erfolgskriterium wird die Akzeptanz der neuen Lebensmittel durch die Konsumenten sein. Ohne deren Bereitschaft, diese Lebensmittel auch dauerhaft zu kaufen, wird ihr kein Erfolg beschieden sein“, sagt auch Windhorst in seinem Papier „Cellular Agriculture. Eine nachhaltigere Alternative zur konventionellen Erzeugung.“
Konventionelle Fleischproduktion in 30 Jahren verboten?
Die Entwicklung von Alternativen und nicht zuletzt die tatsächliche Produktion für den Verbrauchermarkt ist zuletzt rasant vorangeschritten. Euphorische Zukunftsszenarien, wie sie von Kristopher Gasteratos, dem Gründer der Cellular Agriculture Society (CAS), entwickelt wurden, seien sicherlich wenig realistisch, ist sich Hans-Wilhelm Windhorst sicher. Gasterazors gehe davon aus, dass der Siegeszug der neuen Technologien in drei Schritten erfolgen wird. Um 2020 würden die so erzeugten Produkte auf dem Markt angeboten werden. Nach einigen Jahrzehnten werden sie weltweit akzeptiert und Marktanteile von 70 Prozent erreichen. Einige weitere Jahrzehnte werden verstreichen, bis 95 Prozent Marktanteile erreicht werden und der Gesetzgeber die konventionelle Nutztierhaltung und den Fischfang sowie die Aquakulturen untersagen wird. Die Zeitangaben sind wenig präzise, wohl auch deswegen, weil die Frage der Akzeptanz dieser Produkte durch die abnehmende Industrie und die Endkonsumenten bislang nur unzureichend geklärt ist.
Auch können wir nicht 30, 40 Jahre warten, bis der Markt die Politik beeinflusst, die konventionelle Produktion zu regulieren. Die Alternativen zur klassischen Viehhaltung sind heute vorhanden. – Und überwiegend Nischenprodukt für privilegierte Interessengruppen. Um die Zahl potentieller Konsumenten drastisch zu vergrößern, braucht es den dritten Dönerspieß neben Lamm und Huhn. Die dritte Currywurst neben „mit“ und „ohne“.