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Photo: Kyle Ellefson on Unsplash

19. November 2019

Regenerative Landwirtschaft – die nächste Agrar-Revolution?

Altes Wissen rund um Humusaufbau und Bodengesundheit

Von Laura von Ketteler

Es weht ein Wind aus den vereinigten Staaten zu uns nach Europa, und zwar ein Wind, der nach frischer Erde und Tatendrang riecht. In den 70ern prägte der Landwirt Robert Rodale den Begriff „regenerative organic farming“, um sich von der Idee der rein „nachhaltige Landwirtschaft“ abzugrenzen. Seitdem haben Pioniere wie Gabe Brown, Joel Salatin und Dr. Elaine Ingham die Bewegung maßgeblich geprägt. In Amerika ist das Prinzip der regenerativen Landwirtschaft mittlerweile weit über den landwirtschaftlichen Sektor im „mainstream“ angekommen. Dieser Beitrag beleuchtet die Regenerative Landwirtschaft und Humusaufbau in Deutschland. Zu Wort kommen Benedikt Bösel, Referent der Session zum Thema sowie weitere Landwirte und Experten.

Landwirt Benedikt Bösel moderiert die Session zur Regnerativen Landwirtschaft

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Amerikanische Großunternehmen wie Patagonia, Dr. Bronners und Danone sind ebenso wie einige Investoren, darunter Farmland LP oder Delta Institute, auf den Zug aufgesprungen. In den USA allein gibt es um die 70 Anlagefonds mit einem Vermögen von über 47,5 Milliarden Dollar in regenerativer Landwirtschaft. In Deutschland hingegen stellt das Thema derzeit sowohl für die Industrie als auch den Finanzsektor noch eine Graswurzelbewegung da.

„Die regenerative Landwirtschaft steht in Deutschland wie weltweit noch ganz am Anfang. Der australische regenerative Farmer und Autor Charles Massy sieht den Ursprung der regenerativen Landwirtschaft bei Rudolf Steiner und seinen grundsätzlichen Überlegungen zur Landwirtschaft“, sagt Jan Gisbert Schultze, Mitgründer der Soil Alliance, Verein für regenerative Landwirtschaft. „Allerdings sind bisher mit wenigen Ausnahmen regenerative Ansätze nur auf kleineren Flächen zu finden. Umso wichtiger ist es, die Anwendbarkeit auf großen Flächen zu ermöglichen“, fügt er hinzu.

Es gibt nicht die eine regenerative Landwirtschaft

Die Regenerative Landwirtschaft als solche lässt sich nicht in einem Satz definieren. Grundsätzlich fordert sie eine Wiederherstellung und Verbesserung der Natur, sowie einen ganzheitlichen und systemischen Denkansatz und geht somit über die nachhaltige Landwirtschaft hinaus. Auch in Europa finden die fünf Grundprinzipien der regenerativen Bewirtschaftung nach Gabe Brown weite Verbreitung als Grundlage für viele Landwirte:

  • So wenig mechanische, physische und chemische Beeinflussung/Störung des Bodens wie möglich
  • Ständige, ganzjährige Bodenbedeckung
  • Förderung der Biodiversität von Lebewesen und Pflanzen
  • Langer Erhalt von lebenden Wurzeln
  • Integration von Tieren in den Betrieb

Dabei gibt es keine Blaupause, um die regenerative Landwirtschaft umzusetzen. Jeder Standort ist anders und benötigt seine eigenen angepassten Methoden, darüber sind sich die Anhänger einig. Über die Jahre haben sich verschiedene Ausprägungen der regenerativen Landwirtschaft etabliert: Agroforst, Permakultur, Holistic grazing, Keyline-design und Crop grazing, um nur die gängigsten Konzepte zu nennen. All diese Ansätze versprechen verbesserte Böden, gesteigerte Biodiversität, bessere Wasserspeicherung, verringern Erosion und vermeiden die Abhängigkeit von Chemikalien.

Dietmar Näser, Mitgründer der „Grünen Brücke“ und einer der deutschen Verfechter der regenerativen Landwirtschaft legt den Fokus vor allem auf das Mikrobiom und die Notwendigkeit, Humusaufbau zu betreiben. „Durch regenerative Landwirtschaftssysteme ist es möglich, in viereinhalb Jahren 3,5 Prozent Humusaufbau zu erreichen. Ein hoher Gehalt an Humus bewirkt einen starken Ertrag auch bei widrigen Bedingungen und kann eine Menge CO2 einspeichern“, sagt er in einem seiner Vorträge.

Die große Frage lautet: Wie?

„Es funktioniert nur, wenn wir klein anfangen, testen und weiterentwickeln, um dann später skalieren zu können. Leider sind diese Arten der multifunktionalen Landnutzung in Deutschland bisher nur schwierig über unsere klassische Agrarförderung abzudecken, da müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten. Jede/r Landwirt*In muss für sich testen, was auf seinem/ihrem Betrieb funktioniert“, sagt Benedikt Bösel. Er ist Landwirt eines Biobetriebes eine Stunde östlich von Berlin. Er gehört zu den deutschen Vorreitern in Sachen regenerative Landwirtschaft. „Wir haben hier besonders schwierige Standortbedingungen. Sandige Böden und extrem wenig Niederschlag, insbesondere im Frühjahr und Frühsommer. Uns war schnell klar, dass der Boden und die Bodenbiologie unser bester Schutz vor sich verändernden Wetterphänomenen sind. Für uns besonders spannend ist dabei unser Standort: Wenn wir zeigen können, dass diese multifunktionalen Landnutzungskonzepte selbst bei unseren Bedingungen ökologisch, ökonomisch und sozial Vorteile bieten, können sie im Grunde überall angewandt werden“, ist sich Bösel sicher.

Auf seinem Betrieb vereint er Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft: Agroforst, Holistic grazing nach Gabe Brown und Alan Savory, Permakultur und die syntropische Landwirtschaft nach dem Schweizer Ernst Götsch. Ziel ist es, in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen, Universitäten und Start-Ups sowie internationalen Pionieren die Systeme zu testen und skalierbar zu machen. „Dabei ist es wichtig, die unterschiedlichen Methoden an unsere individuellen Standortbedingungen anzupassen“, bekräftigt Bösel.

Das Interesse und der Wille der Landwirte an einer Umstellung wachsen, Auslöser dafür sind vor allem auch die zahlreichen Chemieverordnungen der EU. Jedoch scheint vielen Landwirten die Umstellung noch als großes Risiko: „Ich versuche momentan auf regenerative Modelle umzustellen, aber das bedeutet für mich auch ein hohes finanzielles Risiko in der Umstellungszeit. Die Politik hat verpasst, im Rahmen der neuen Verordnungen, ein Programm zur Unterstützung der Bauern aufzustellen und Alternativen zu Chemie zu fördern“, sagt ein Landwirt aus dem Wendland. Er setzt auf die Inklusion der Verbraucher und hat das Konzept der Patenschaft umgesetzt, indem er Blühstreifen an Verbraucher vermietet. „Es muss klar werden, dass der Landwirt nicht die alleinige Verantwortung trägt und wir die Unterstützung der Verbraucher und gegebenenfalls Wirtschaft benötigen.“

Ob Rind, Apfelbaum oder Bienenkolonie, das Konzept der Patenschaft setzt sich in Deutschland langsam durch. Landwirte schaffen so einen Weg, Konsumenten die Landwirtschaft näherzubringen und im kleinen Stil regenerative Projekte umzusetzen. Die Umstellung auf eine großflächige Veränderung der Bodenbearbeitung werden Patenschaften jedoch vermutlich nicht tragen können.

Franz Rösl, Mitgründer der Interessengemeinschaft gesunder Boden, hält die Diskussion der Finanzierung als hinfällig: „Wenn man das Konzept versteht, dann weiß man auch, dass bei einer Umstellung keine Mehrkosten entstehen, sondern die Kosten sich verlagern. Was ich zum Beispiel für erweiterte Boden- und Pflanzenanalysen ausgebe, spare ich an Ausgaben für Düngemittel, da gezielter und effizienter gedüngt werden kann.“

Der Verein Interessengemeinschaft gesunder Boden, ansässig in Regensburg, vereint Profis aus verschiedenen Disziplinen, die ihr Wissen in Vorträgen und Seminaren an Landwirte vermitteln. Im Fokus steht dabei ganz klar, den eigenen Boden zu verstehen mit dem Ziel die Pflanzengesundheit als Basis für die Gesundheit von Mensch und Tier zu erhöhen. „Ich denke, wenn wir es schaffen in jeder Region ein funktionierendes Bewirtschaftungssystem mit Praktikern umzusetzen, dann verbreitet sich der Gedanke ganz von alleine“, sagt Rösl.

Peace Farming – Altes Wissen und Technologie schließen sich nicht aus

Skeptiker sind der Meinung, dass sich Methoden der regenerativen Landwirtschaft nicht auf großen Flächen umsetzen lassen und verhältnismäßig viel Handarbeit fordern. Ernst Götsch hat jedoch bewiesen, dass dies funktioniert. Auf großen degradierten Flächen in Brasilien hat er es geschafft, durch die syntropische Landwirtschaft ausgelaugte Böden wieder furchtbar zu machen.

Dazu arbeitet er unter dem Motto „Peace farming“ mit einem Schichtensystem im Einklang mit der Natur, um an den Ursachen der Probleme anzusetzen, und nicht nur deren Auswirkungen zu bekämpfen. Auf Gut & Bösel setzt er zusammen mit Bösel das Pionierprojekt für Deutschland um. Auf einem 3,5 ha großen Feld werden alle zehn Meter lange Baumreihen angelegt, dabei werden Pionier und schnell wachsende Baumarten zwischen fruchttragende Sträucher und Bäume gepflanzt. Die schnellwachsenden Bäume sollen dann jedes Jahr beschnitten und das gehäckselte Material an den Boden gelegt werden. Somit wird der Boden vor Austrocknung geschützt und mit Nährstoffen versorgt. Die fruchttragenden Sträucher, darunter Pflaume, Birne, Kornelkirsche und Sanddorn, dienen der Lebensmittelproduktion. 

 „Technologie und regenerative Landwirtschaft schließen sich nicht aus, ganz im Gegenteil: Technologie und Digitalisierung können hilfreiche Ergänzung zur regenerativen Landwirtschaft sein“, sagt Bösel. Um den großen Flächen Herr zu werden, arbeitet Ernst Götsch an Maschinen, die sich seinem Anbausystem anpassen und multifunktional einsetzbar sind. Eine dieser Maschinen hat er bereits mit dem Schweizer Tüftler-Duo von rhenus TEK gebaut. Sie vereint Frese und Tiefenlockerer und verspricht eine möglichst geringe Oberflächenbearbeitung des Bodens. Für den Einsatz der Maschine, noch ohne Namen, ist der Einsatz eines kleinen Traktors, 70 PS mindestens, ausreichend.

Doch wie misst man die Verbesserung des Bodens und des Ökosystems? Die amerikanische Initiative Regen Network versucht eine Antwort drauf zu geben und durch Digitalisierung ökologische Daten zu erfassen und somit für einen Jeden erkennbar zu machen. Die Blockchaintechnologie verfolgt, überprüft und honoriert positive Entwicklunge des Ökosystems. Ökologische Daten werden durch Satelliten und Sensoren gesammelt und ausgewertet. Regierungen, Institutionen und Unternehmer haben somit die Chance, auf verifizierte ökologische Daten Zugriff zu erhalten.

Dank Humusaufbau Vom Klimasünder zum Klimaschützer

Das Thünen Institut und der Bodenforscher Dr. Axel Don haben 2018 in einer ausführliche Studie das Potential des landwirtschaftlich genutzten Bodens als CO-Speicher herausgearbeitet. Wie viel CO2 der Boden enthält, hängt vom Humusgehalt ab, der wiederum Einfluss auf den Bodenkohlenstoff hat. Vor allem Grünland, ganz besonders Viehweiden, haben laut Studie ein enormes Einspeicherungspotential.

Daraus hat sich ein Konzept entwickelt – vom Landwirt als Klimasünder zum Klimaschützer. Landwirte können CO2-Zertifikate an Emittenten aus der Industrie und dem Handwerk verkaufen. Mit einem zwischengeschalteten Zertifikats-Händler wie beispielweise CarboCert  schließt der Landwirt mit dem Händler eine Vereinbarung zum Humusaufbau ab. Die Entwicklung wird durch eine GPS-genaue Probeentnahme in einem Labor gemessen, sodass der Humusaufbau die Grundlage für die Auszahlung des Erfolgshonorars bildet. „Die CO2-Zertifizierung ist eine super Möglichkeit, die Regenerierung der Böden zu honorieren, es ergibt sich eine win-win Situation. Natürlich darf dabei der Zertifikate-Handel nicht der Schwerpunkt des Betriebseinkommens sein“, sagt Friedrich Wenz, Grüne Brücke.

Diesem Konzept stehen allerdings nicht alle positiv gegenüber, zumindest noch nicht. Rösl ist der Meinung, dass organischer Kohlenstoff nicht der richtige Parameter ist, um Humusaufbau zu messen. „Um ein realistisches Bild zu gewinnen, müssen verschiedene Kriterien in eine Berechnung miteinbezogen werden, zum Beispiel die Entwicklung der Infiltrationsleistung, der Bodengare, der Wurzeltiefe und des Bodenlebens“, sagt er. Andere Landwirte geben auch die hohen Margen für den Händler der Zertifikate zu bedenken.

Mit der regenerativen Landwirtschaft stehen wir an einem Anfang, der Raum für Weiterentwicklung und Neuinterpretation bietet. Der Begriff steht für eine Revolution der Landwirtschaft, ein Umdenken, ein Neudenken, welches Mut, Kreativität und starke Partnerschaften verlangt. Klar wird, dass sie großes Potential hat die Landwirtschaft der Zukunft zu werden, allerdings sollten die Landwirte diese Herausforderung nicht alleine stemmen müssen.

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