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09. Oktober 2019

Macht neue Technik tierische Proteine überflüssig?

Letzte Hürden im Rennen zwischen Kuh und Mikrobe

Von Rob Leclerc*

Autos ersetzten Pferde, Erdöl ersetzte die Wale, Traktoren ersetzten Ochsen, Telekommunikation ersetzte die Brieftauben, Fermentation ersetzte Kühe und Schweine für die Insulinproduktion. Und trotz seiner vielen Mängel nimmt Kunststoff dem Leder weiterhin Marktanteile weg. Wo immer wir hinschauen, haben die Menschen konsequent Technologien entwickelt, die ihre tierischen Vorgänger übertreffen. Tierische Proteine in unserem Essen könnten als nächstes dran sein.

Auf der ganzen Welt erfinden Unternehmer neue Methoden, Produkte herzustellen, die wir bisher aus tierischen Ressourcen produzieren. Mit den neuesten Technologien aus den Bereichen Biotech, Tissue Engineering, künstliche Intelligenz und Lebensmittelwissenschaften versuchen Unternehmer, neue tierfreie Produkte zu entwickeln, die billiger, gesünder, schmackhafter und nachhaltiger sind. Selbst wenn sie mäßig erfolgreich sind, haben sie die Möglichkeit, einen bedeutenden Teil dieses 1,5 Billionen Dollar teuren Marktes für tierische Proteine einzunehmen[1].

Seit Jahrtausenden werden Tiere als Technologie eingesetzt, um wertvolle Produkte und Dienstleistungen wie Transport, Kommunikation, Energie, Arbeit, Kleidung, Medizin und natürlich Lebensmittel anbieten zu können. Aber die Geschichte hat gezeigt, dass Tiere nicht unbedingt das beste Mittel für diese Endprodukte und Dienstleistungen sind. Der Markt verlangt danach, aber er zeigt wenig Loyalität zur zugrundeliegenden Produktionsweise. Wenn also neue Technologien auftauchen, die besser und billiger sind, neigen die Märkte dazu, sich zu verändern. So wie Hühnerfleisch Rindfleisch als Quelle für Proteine ersetzt hat, weil es billiger war und als gesündere Alternative wahrgenommen wurde, sind große Teile der Fleischindustrie zurzeit ebenfalls von einer Substitution bedroht. Die Geschichte der Technologie lehrt uns, dass diese Entwicklung selten zu vermeiden ist.

Wir gehen heute davon aus, dass viele Verbraucher zu „tierlos produzierten“ Lebensmitteln wechseln werden, wenn diese mit ihren tierischen Alternativen in Kosten, Geschmack, Funktionalität, Komfort und Gesundheit mithalten oder sie übertreffen. Der Wechsel erfolgt noch schneller, wenn der Verbraucher über die Auswirkungen der Tierhaltung auf unsere Umwelt und Nachhaltigkeit besorgt ist.

Warum trenden alternative Proteine erst jetzt?

Pflanzenbasierte Produkte gibt es schon seit langem, warum also geschieht das jetzt?  Wir glauben, dass das auf vier Schlüsseltrends zurückgeht.  

Erster Trend ist die Entstehung von Social Media, die zur Bildung neuer Ernährungsweisen und Trends führte, darunter beispielsweise Bio, glutenfrei, vegan und flexitär. Dazu ermöglichen neue digitale Vertriebskanäle den Indie-Marken, ihre Botschaft direkt an Kunden weiterzugeben, die bisher von großen Lebensmittelkonzernen, die sich auf den Massenmarkt konzentrieren, unterversorgt waren. Diese Kunden begrüßen Marken, die ihre eigenen Werte widerspiegeln.

Zweitens sind sich Verbraucher immer mehr ihrer Verantwortung bewusst, sich um Gesundheit, Klimawandel, Umwelt und Tierschutz zu kümmern. Dies betrifft vor allem Millennials, die Generation Z und deren Eltern.

Zum Dritten kommen nicht nur neue Technologien wie Gen-Editing, rekombinante Proteine und künstliche Intelligenz auf, es gibt auch große Fortschritte in den Bereichen Tissue Engineering oder DNA-Sequenzierung. Lebensmittelunternehmen können nicht nur innovative Produkte wie nie zuvor entwickeln, sondern diese neuen Technologien können auch als geistiges Eigentum geschützt werden, was diese Möglichkeiten letztendlich risikobereit macht. 

Vierter und letzter Punkt ist die jüngste Entwicklung einer kleinen Gruppe von missionarisch orientierten Unternehmern, die Veränderungen in unserem Ernährungssystem bewirken wollen. Sie erkennen, dass sie, um ihre Ziele zu erreichen, Produkte entwickeln müssen, die genauso gut schmecken wie tierische Produkte; Produkte, die selbst ein Fleischfresser lieben würde. 

Wichtig ist, dass viele dieser frühen Pioniere sich nicht dafür entschieden haben, reine Protein-Inhaltsstofffirmen zu werden. Vielmehr entschieden sie sich, verbraucherorientierte Unternehmen zu sein und sie bringen ihre Botschaft direkt auf den Markt. Dieser frühe Erfolg hat in der Folge eine neue Generation von Unternehmern und Risikokapitalgebern angezogen.

Geschmack und Textur verstehen

Im Jahr 2008 erklärte der CEO von Blockbuster, dass „Netflix im Hinblick auf den Wettbewerb nicht einmal auf dem Radar“ sei. Achtzehn Monate später erklärte das Unternehmen den Konkurs. Das Paradoxon solch einer Entwicklung ist das des sprichwörtlichen Froschs in kochendem Wasser; von einem Moment auf den anderen passiert nicht viel.

Sobald alternative Proteinfirmen Geschmack, Textur und Kosten richtig verstanden haben, wie schnell müssen sie skalieren, um einen kompletten Turn auf dem Markt zu sehen? Betrachten wir dies am Beispiel des pflanzlichen Fleischunternehmens Impossible Foods und gehen davon aus, dass sie auch alternative Schweine-, Geflügel- und Fischprodukte herstellen können: Es entstehen Technologien, die es ermöglichen, große Teile des traditionellen Marktes der tierischen Landwirtschaft zu erobern. Nicht, weil sie auf den Markt gezwungen werden, sondern weil die Verbraucher diesen Wechsel vollziehen wollen.

Um die Weltbevölkerung mit alternativem Fleisch bei aktuellem Tierfleischkonsum (43 Kilogramm/Person) zu versorgen, müsste Impossible Foods eine globale Jahresproduktion von 317 Milliarden Kilogramm erreichen. Heute verfügt das Unternehmen Berichten zufolge über eine jährliche Produktionskapazität von 10.8 Millionen Kilogramm von einem einzigen Standort in Oakland aus, was nur 0,003 Prozent ihres gesamten adressierbaren Marktes entspricht. Aber was wäre, wenn sie ihre Produktionskapazität jedes Jahr verdoppeln könnten? In nur 15 Jahren und mit 30.000 Produktionsstätten könnten sie den weltweiten Bedarf an Fleisch decken.

Unter der Annahme, dass die Investitionskosten 50 Mio. US Dollar/Werk betragen, würde dies die gesamten Investitionen auf 1,5 Billionen US Dollar erhöhen. Während wir von Betrieben wissen, die rund zwei Millionen Kilo pro Monat mit ähnlichen Investitionen produzieren, sollte dies als Marke dienen. Aber was ist mit den Inputs? Da ein halbes Kilo Sojabohnen etwa 35 Prozent mehr Protein enthält als Rindfleisch, gehen wir konservativ davon aus, dass jedes Pfund Soja – oder eine andere gleichwertige, proteinreiche Pflanze – ein Pfund Fleisch auf pflanzlicher Basis mit gleichwertigem Proteingehalt produzieren könnte.

Wenn diese Produkte jedoch besser und billiger werden, müssen wir den daraus resultierenden schnellen Anstieg des globalen Pro-Kopf-Verbrauchs berücksichtigen. Wenn wir unsere obige Kalkulation überarbeiten, können wir uns fragen, was es braucht, um die Welt mit einem US-Verbrauch von rd. 100 Kilo pro Jahr zu versorgen? Wie sich herausstellt, bräuchten wir nur zwei Jahre, um die jährliche Produktion zu verdoppeln, um diesen zusätzlichen Bedarf zu decken. In diesem Zusammenhang würde dies etwa ein Drittel der weltweiten Ackerfläche erfordern, was der Menge entspricht, die derzeit für den Anbau von Futtermitteln für Nutztiere verwendet wird[3].

Proteinpuzzle statt nur tierische Proteine

Unabhängig davon, ob Sie die Tierhaltung unterstützen oder nicht, gibt es große Herausforderungen bei der Deckung des Proteinbedarfs weiterer 2,5 Milliarden Verbraucher bis 2050. Dies erfordert neue Ideen, nicht eine dichtere Tierhaltung, Entwaldung und weitere Überfischung unserer Ozeane. Unsere These ist, dass neue Technologien entstehen, die bereit sind, große Teile des traditionellen Marktes der Tierhaltung und Teile des Proteinpuzzles zu erfassen. Dennoch bleiben viele Fragen zu Themen wie Gesundheit, Kosten und natürlich öffentliche Akzeptanz noch offen. Und so sind Investitionen in diesem Sektor trotz der großen Chancen mit erheblichen Risiken verbunden.

Gesundheit: Viele Verbraucher werden immer skeptischer gegenüber verarbeiteten Lebensmitteln. Nur, weil etwas pflanzlich ist, bedeutet das nicht unbedingt, dass es gesünder ist. Als hoch verarbeitete Lebensmittel müssen pflanzliche Produkte einen Schwerpunkt auf Gesundheit sowie Geschmack und Kosten legen, um Fleisch verdrängen zu können.

Umweltbewusstsein: Pflanzliche Produkte werden auch Schwierigkeiten haben, sich den Problemen und der Kritik der konventionellen Landwirtschaft zu entziehen, zu denen Monokulturen, der Einsatz von Chemikalien und Düngemitteln sowie die Erschöpfung des Bodens gehören. Und wenn das Endprodukt Zutaten wie Palmöl erfordert, werden Kritiker schnell auf angebliche Heuchelei hinweisen, wenn man bedenkt, dass dieser Industriezweig gerade für seine Ansprüche bezüglich Menschenrechte und Nachhaltigkeit bekannt ist. Wenn Start-Ups sich dafür entscheiden, einen moralisch hohen Stellenwert einzunehmen, werden sie auch an einem höheren Standard gemessen.

Kosten: Fermentationsbasierte Start-Ups wie Perfect Day, Clara Foods und New Culture, die gentechnisch veränderte Mikroben brauen, die tierische Proteine exprimieren, werden ebenfalls vor Herausforderungen stehen. Diese Techniken wurden zwar erfolgreich in der Biopharmaindustrie eingesetzt, aber es handelt sich in der Regel um extrem hochwertige Proteine, und es bleibt abzuwarten, ob diese Unternehmen ihre Proteine wirtschaftlich produzieren können und ob sie in der Lage sind, mit herkömmlichen Inhaltsstoffen zu konkurrieren.

Akzeptanz bei den Verbrauchern: Die letzte Hürde wird die Kundenakzeptanz sein. Um den richtigen Geschmack und die richtige Textur zu treffen, müssen Start-Ups möglicherweise zusätzliche Inhaltsstoffe wie Fette einbeziehen, was den Herstellungsprozess komplexer macht. Selbst dann kann der Gedanke, kultiviertes Fleisch zu essen, für viele Verbraucher abschreckend sein. Es wird kein Leichtes sein, ein Produkt zu entwickeln, das mit einem saftigen Steak konkurrieren kann. Dennoch scheint es viele Möglichkeiten bei Lebensmittelzutaten und verarbeiteten Produkten wie Knödeln, Fleischbällchen, Hotdogs und Hybridpflanzen zu geben.

Sozial: Und nicht zu vergessen sind die Bauern. Viele Bauernfamilien sind stolz darauf, seit sechs oder mehr Generationen tätig zu sein. Sie könnten einen willkommenen Boom von pflanzlichen und zellbasierten Proteinen erleben, vor allem, wenn dies höherwertige Pflanzen erfordert – aber Landwirte, deren Lebensunterhalt von konventioneller Tierhaltung abhängt, fühlen sich natürlich bedroht. Da Proteinalternativen jedoch wahrscheinlich mit Standardfleisch konkurrieren werden, sollte es weiterhin einen Markt für Produzenten geben, die sich auf tierische Proteine in einer qualitativ hochwertigen, nachhaltigeren Fleischproduktion konzentrieren.

 

Referenzen

[1]  Dr. Carsten Gerhardt, Gerrit Suhlmann, Fabio Ziemßen, Dave Donnan, Dr. Mirko Warschun, and Dr. Hans-Jochen Kühnle, How Will Cultured Meat and Meat Alternatives Disrupt the Agricultural and Food Industry? AT Kearney (URL) 

 [3] FAO (URL)

[4] Margarine, Wikipedia (URL)

[5] David McCowan, I can believe it’s not butter: The rise and fall of margarine, The Takeout, 2018 (URL)

[6] Zlati Meyer, Missouri becomes first state to regulate use of the word ‘meat’, USA Today, 2018 (URL)

 

*Anmerkung des Redaktion: Rob Leclerc ist Gründungspartner bei der Venture-Capital-Firma AgFunder, wo er das Investmentteam zusammen mit dem Gründungspartner Michael Dean leitet. Die geäußerten Meinungen entsprechen denen der Autoren. Sie geben nicht vor, die Meinungen oder Ansichten des Herausgebers des AFN oder seines vielfältigen und unabhängigen Teams von Journalisten zu vertreten.

*Dieser Artikel wurde zuerst auf AgFunder News veröffentlicht und übersetzt von Farm & Food.

 

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